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„Gewohneinheiten in der Krise". Das isb Dialogfenster mit Dr. Oliver Schumann am 1. Juli über die Ambivalenz von Haltungen und Handlungen, die wir „schon immer so" machen...

7. Juli 2020 – von Jutta Werbelow

„Um 23.04 Uhr geht der Durchschnittsdeutsche ins Bett." Wie sehr unser Leben von Gewohnheiten geprägt und vor allem geleitet ist, machte Oliver Schumann, Sportökonom und –psychologe, Autor, Sprecher und isb Alumni beim isb Dialogfenster „Gewohneinheiten in der Krise" am 1. Juli deutlich. Seitdem schaue ich jeden Abend vor dem Zubettgehen auf die Uhr und gleiche ab. Mit meiner inneren Uhr? Oder meiner Gewohnheit?

Gewohnheiten stehen auf dem Prüfstand. Oliver Schumann hat sich in den Wochen des Corona-Lockdowns auf Spurensuche gemacht – in zwei Befragungen sammelte er Erfahrungen mit Gewohnheiten - alten, neuen, lästigen, hilfreichen, verlorenen und gewonnenen.

Er nennt sie Gewohneinheiten, die gewohnten Einheiten, nach denen wir unser Leben takten. Bis zu 50% unserer täglichen Handlungen werden durch Gewohnheiten gesteuert. Seine These: wir bilden mit ihnen regelrecht Wohngemeinschaften. Wir machen es uns in ihnen (oder sie in uns) gemütlich. Hier liegt die „faszinierende Ambivalenz" in der Omnipräsenz: Ja, es hat etwas Energiesparendes, Versicherndes. Und gleichzeitig behindern uns Gewohnheiten, unser Leben einmal (oder mehrmals) anders zu führen, kreativ zu sein und zu bleiben, Neues zu schaffen und vor allem auch Richtungen und Wege zu ändern: „Gewohnheiten sind auf der einen Seite das Beste, das wir schaffen können, sie sind die Grundlage für Leistungsfähigkeit und für Exzellenz. Stichwort Sport. Und auf der anderen Seite sind Gewohnheiten die größten Verhinderer von Entwicklung."

Die Corona-Krise, so Oliver Schumann, ist eine der großen Gelegenheiten, ein besonderer „Teachable Moment", um innere Inventur zu machen und mit unseren Gewohneinheiten aufzuräumen – die zu verändern, die uns behindern, neue zu gestalten, die uns fördern.

Dass das gar nicht so einfach ist, auch das erfahren wir in den zwei Stunden des Dialogfensters. Oliver Schumann zeigt auf, wie Gewohnheiten im Gehirn entstehen und verankert werden und dass wir Gewohnheiten durch positive Konnotationen gezielt entwickeln und einsetzen können. Das dauert – 66 Tage braucht es, um aus dem geistigen Trampelpfad eine mentale Schnellstraße mit dem Namen „Gewohnheit" zu machen.

Die Einschränkungen (auch unserer Gewohnheiten) in der Zeit von Corona sorgen für ein Unterbrechen eben dieser alten Pfade. Zu Beginn der Krise reagierten wir in Bezug auf unsere Gewohnheiten mit Intensivieren (Gewohntes noch mehr machen), Changieren (ein bisschen anders machen) und Innovieren (kreativ werden). Der Faktor Einschränkung mit den dazugehörigen Maßnahmen sorgte im Verlauf der Zeit dafür, dass aus dem Innovieren eher oder auch ein Problematisieren wurde.

Oliver Schumann plädiert für ein (mutiges) Neubestellen des (Gewohnheits-)Feldes: Kaum eine Zeit habe, wie jetzt die Corona-Krise, eine solche Sensibilisierung geschaffen – über Gesellschaften, Ländergrenzen, Branchen, Themen hinweg. Jetzt sei die Gelegenheit, alte Gewohnheiten zu reflektieren und neue zu implementieren – auch durch institutionelle Spielregeln. „Wenn wir jetzt nichts tun, wird das Alte wieder hochwachsen."

Dass die Corona-Zeit fruchtbare Böden für ausgesuchtes Gewohnheits-Saatgut bereitstellt – ein schöner Gedanke. Machen wir was draus!

Mehr über Oliver Schumann und die Gewohneinheiten könnt Ihr hier erfahren. Das Buch zum Thema ist Ende August erschienen und gibt es hier.

Eure Ansprechpartnerin
Jutta Werbelow