entwickeln

In unserer Ent­wick­lungs­werkstatt ent­stehen neue Kon­zepte und Modelle, die über Jahr­zehnte hinweg schlüssig und wirksam sind.
» mehr erfahren

vernetzen

Lernen als Prozess geht auch nach der Aus­bil­dung weiter. Deshalb agieren wir als Netz­werk­orga­nisation.
» mehr erfahren

professionalisieren

Zentrale Säule des isb ist das Angebot von Weiter­bildungen als Akademie und Pro­fessio­na­li­sierungs­institut.
» mehr erfahren

zurück zum Blog

Frag doch mal!

Was mich am meisten in Auseinandersetzungen nervt, sind die Unterstellungen, die mit irgendeinem Anliegen, einer Meinungsäußerung transportiert werden.
Auch wenn ich gerne auf die Fragestellung positiv reagieren möchte, reagiere ich mit Reaktanz, möchte zunächst die durch erlebte Unterstellungen reduzierte Freiheit wiederherstellen. Ähnlich geht es mir, wenn ich das Gefühl habe, dass ohne Abstimmung Zusammenhänge hergestellt werden, die ich als mir aufgedrängt erlebe. Also erstmal zurechtzurücken, wovon wir gemeinsam ausgehen sollten. Und bevor wir uns versehen, kämpfen wir um Deutungshoheit. Durch das wuchernde Gestrüpp wechselseitiger Unterstellungen ist dann kein Durchkommen mehr. Mal wieder.

Das eigentliche Anliegen, auf das ich gerne eingegangen wäre, ist auf der Strecke geblieben. Und bei empfindsamen Anliegen will man sich das nicht wieder antun. Und so entstehen langsam Entfremdungen und chronische Gereiztheit, für die jeder seine nachvollziehbaren Gründe nennen kann. Intimität im Sinne von Eric Berne als unverstellten Austausch und Anteilnehmen aneinander geht verloren. Wir begrenzen uns dann auf relativ risikolose, wenn auch etwas stereotype Begegnungsformen, bleiben unter dem, was die Beziehung für uns sein könnte, begnügen uns mit Trostpreisen.

Und dann kommt auch wieder Bewegung, wenn wir aus glücklichen oder erschütternden Momenten heraus die Beziehungssituation ansprechen. Gerade in langjährigen Beziehungen ein ständiges Ringen zwischen Gerinnung und neuem Fließen. Warum kommt es zu dieser Vermeidung von Intimität, gerade mit denen, die uns am nächsten sind? Geht es um belastendende Kindheitserfahrungen, um Vermeidung von Unsicherheit, um Verletzbarkeit und Angst in Verbindung? Geht es um scheinbaren Schutz durch Herstellung von Berechenbarkeit, wenn auch stereotyp eingeschränkt? Man landet mal wieder in der Kacke, aber man kennt sich aus.

Hingegen nimmt die Hirnforschung an, dass unser Hirn auf maximale Energieersparnis ausgelegt ist. Die Sinnesreize, die dort ankommen, werden mit vorhandenen Erfahrungen abgeglichen und sobald genügend Ähnlichkeiten identifiziert werden, werden Reaktionsmuster bereitgestellt und ohne weitere Prüfung ausprobiert. Solange das irgendwie funktioniert, werden keine differenzierteren Bilder der Wirklichkeit erstellt oder feinsinnigere Reaktionen entwickelt. Das Leben im bekannten Trott also ein Energiesparprogramm? Und Freude an der Differenzierung, an neuen Perspektiven im Erleben der Welt und an eigenen neuen Reaktionen darauf? Haben wir, suchen sie aber nicht unbedingt in vertrauten Beziehungen. Das macht ja gerade den Zauber neuer Begegnungen aus, dass man nicht meint, sich zu kennen, dass man sich fragen und erzählen mag, wer man eigentlich ist, was einen bewegt. Die Chancen, sich mit frischen Eindrücken zu begegnen, zumindest zu erkunden, wie der andere tickt, sind deutlich höher. Die bewegenden, oft geradezu beglückenden Spiegelungen in unseren Weiterbildungsgruppen zeugen davon. Wir sind angehalten, unsere intuitiven Annahmen übereinander auf den Prüfstand zu stellen, uns gegenseitig durch kreatives Nachfragen aller Art die Chance zu geben, uns differenzierter kennenzulernen. Also weniger stereotype Begegnungsgewohnheiten und viel mehr Neugier aufeinander. Es wäre sicher beschönigend, dies alles von jahrelang eingefahrenen Beziehungen zu erwarten, doch könnten wir versuchen, gerade diesen Beziehungen durch Elemente solcher Begegnungen Erneuerungschancen zu geben. Wir könnten z.B. mit uns selbst und vielleicht auch mit dem Gegenüber vereinbaren, Vorbehalte aller Art zurückzustellen und einfach mehr nachzufragen. Wie der andere dies oder jenes erlebt. Das ist schon viel. Denn wer mag nicht nach seinen Sichtweisen und Ansichten gefragt werden. Vielleicht aktualisieren wir unsere Ansichten gerade bei solchen Befragungen.

Leichtgängige, scheinbar plausible Unterstellungen sind die Hauptgefahr für Neubegegnungen. Doch Vorurteile sind aber beileibe nicht immer ungerecht, sondern können berechtigt auf wiederkehrende Erfahrung vorbereiten. Es ist eine Frage des Maßes und des klugen Umgangs mit Vorurteilen. Man kann z.B. sagen, welche sich einem aufdrängen, aber dass man ihnen nicht unreflektiert folgen will und neue Aspekte sucht. Dann kann auf einer übergeordneten Ebene ein Bündnis für den Versuch einer neuen Erfahrung und die Weiterentwicklung der Ansichten, entstehen. Und wer hätte nicht Lust sich in einem etwas anderen, möglichst besseren Licht darzustellen. Und man hängt gelegentlich selbst in Vorurteilen und Erzählgewohnheiten über sich selbst fest. Eine gute Gelegenheit sein Selbstbild auf den aktuellen Entwicklungsstand zu bringen und sich künftig anders zu präsentieren.

Bernd Schmid

Kommentare

Von: Amadeus Pachmann

Unterstellungen sind nervig. Stimmt. Und doch helfen gerade sie den
Alltag am laufen zu lassen. Man stellt unter und wird unterstellt. Wir
vereinfachen um die Komplexität zu kontrollieren: in der
Sozialpsychologie ist das der Dreiklang von Stereotyp über das
Vorurteil bis hin zur Diskriminierung. Das das auch mal daneben geht
ist ja eigentlich klar.

Der Impuls ist wunderbar: Frag doch mal! Wunderbar, weil man ihn nicht
nur an andere richtet kann, sondern auch an sich selbst. Weil er das
Neuverhandeln zulässt - und zwar in Leichtigkeit statt Schwergang.
Die Sehnsucht nach Neubegegnung - Intimität sensu Berne, nach
Versorgung des eigentlichen Anliegen und vielleicht auch
Energieeffizienz im Gehirn. Beim Sinnieren kam mir dabei das Konzept
der drei Göttinnen von Fanita English über den Weg. Die drei Urtriebe
oder Motivatoren: Servia - die Überleben hilft, Passia - die Neugier
treibt und Transcia - die Erholung gibt. Ist da vielleicht eine Quelle
dabei wieso etwas nervt? Oder die Beziehung erstarrt? Sicher wäre die
Beziehung dann ja, und erholsam vielleicht. Nur das Neu erleben fehlt.
Oder ich reibe mich aneinander, verhandle ständig neu und entdecke die
Welt: wobei das wenig erholsam ist. Der Impuls tut gut: Frag doch mal:
welche der drei Triebe kommt in dieser Beziehung zu kurz? Bei mir und
beim anderen? Vielleicht ist es dann weniger nervig und das Anliegen
kann gut umsorgt werden.

Danke Bernd!

Kommentar verfassen

Hier haben Sie die Möglichkeit, einen Kommentar zu dem Blog-Artikel abzugeben. Nach dem Absenden wird Ihr Kommentar von uns geprüft und auf dieser Seite veröffentlicht. Wir behalten uns das Recht vor, beleidigende und diskriminierende Kommentare nicht zu veröffentlichen. Ihre E-Mail-Adresse ist für Rückfragen und wird nicht veröffentlicht.

  1. Bitte füllen Sie die mit einem * Stern (Pflichtfeld) gekennzeichneten Felder aus.