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Sheldrakes Spuren

Wer schreibt, der bleibt - oder wie meine (heute 100jährige) Lehrerin Fanita English[1] zu mir gesagt hat: "Bernd, wenn Du willst Spuren hinterlassen, Du must schreiben und Schüler haben! Vergiss Deine Kollegen. Sie haben ihre Show zusammen und wollen nicht gestört werden." Ich habe Fanitas Rat (mit medialen Erweiterungen) befolgt. Und ich habe viele Schüler erreicht, aber auch Kollegen, manche erst mit Verzögerung. Ehrungen zeigen, dass Wahrnehmung im Feld entstanden ist. Soweit also „objektive“ Spuren und solche in Menschen, die ihre Zeit mit mir teilen.

Gibt es darüber hinaus andere Spuren?  
Dieser Tage ist mir Rupert Sheldrake[2] wieder eingefallen (ja, der mit den morphogenetischen Feldern), und ich habe mir einige seiner aktuellen Vorträge[3] angehört: immer wieder anregend! Z.B. seine Kritik an der Einseitigkeit der materialistischen Wissenschaften. Kluge Fragen an die Gewohnheiten der Wissenschaftswelten halte ich für richtig und inspirierend.[4]

Sheldrake stellt z.B. das Gehirn als Speicher für persönliche Erinnerung infrage. Man habe bislang nicht plausibel bewiesen, dass Lebenserfahrung dort abgespeichert wird. Seine Alternative: Das Gehirn ist weniger Ablageort, sondern mehr eine Sende- und Empfangsanlage. Diese ist verbunden mit morphogenetischen (gestaltbildenden) Feldern wie ein Computer mit einer Cloud. Mehr weiß man dazu noch nicht, kann ja noch kommen. Wir müssen eh damit rechnen, noch unbekannte Wirkkräfte und Steuersysteme zu entdecken. Hormone wurden auch erst gerade mal vor ca. 100 Jahren entdeckt.

Es sei ein Denkmodell wie viele andere auch, das ernsthaft und fair auf Plausibilität überprüft werden sollte. Auch feste „wissenschaftliche“ Meinungen dazu wären Ausdruck von zu überprüfenden Denkgewohnheiten. Die im Gehirn beobachteten Aktivitäten (Energie-Verschiebungen) beweisen nicht, dass Gedächtnis im Körper lokalisiert ist. Aktivitäten in bildgebenden Verfahren zeugen vielleicht mehr von Senden und Empfangen als von Speichern und Abrufen. Würde man die Funktion eines Rechners nur rudimentär verstehen, könnte man anhand beobachteter elektrischer Aktivitäten auch nicht feststellen, was genau mit Arbeitsspeicher, Festplatte oder Cloud geschieht, geschweige denn, welche Inhalte verarbeitet werden.

Das Suchprinzip für Speichern und Abrufen „in und aus der Cloud“ könnte mit Aufmerksamkeit und Ähnlichkeiten zu tun haben! Ich finde nach Art der Aufmerksamkeit über Resonanz solche Erfahrungen, die z.B. meiner Eigenart, meinem Interesse und meiner Kompetenz ähnlich sind. Auch Erfahrungen anderer Menschen, z.B. meines Gegenübers erhalte ich als Resonanz, weil sie zu mir und meiner Aufmerksamkeit irgendwie passen.  Solche Erlebnisse werden dann eher mit Intuition umschrieben.

Sollte also Wesentliches meiner Biographie nicht in erster Linie in meinem Körper gespeichert sein? Warum erinnere ich sie dann? Weil ich dem, der ich mal war, besonders ähnlich bin.  Es ist kein Wunder, dass mein „Suchprogramm“ aus der Cloud vorwiegend Inhalte liefert, die mir als persönliche Erinnerung scheinen. Doch liefert die Suchfunktion auch Eingebungen, die aus „Erinnerungen“ anderer stammen, also aus anderen Sphären und Zeiten, auch wenn wir nicht gewohnt sind sie als solche zu identifizieren.  So könnte man sich immerhin allerlei Phänomene erklären, die gerne z.B. als Gedankenübertragung oder Erinnerungen an „frühere Leben“ gedeutet werden.

Ich selbst habe schon früher davon berichtet[5], dass ich Ideen, Kompetenzen, Verständnisse von Kultur und Sprache, Intuitionen bei mir entdecke, deren Herkunft ich nicht meiner persönlichen Biographie zuordnen kann, auch dann kaum, wenn ich Generationen vor mir in Betracht ziehe. Ich bin da vielleicht an einen größeren Strom angeschlossen, den die Jung’sche Psychologie das kollektive Unbewusste nennt.

Etwas Stärkendes, Tröstliches haben solche Betrachtungen für mich schon. Wenn ich dement werde oder sterbe, geht lediglich mein Sender/Empfänger kaputt. Das, was ich bis dahin kulturell hervorbringe, hat Chancen in einen Kulturstrom einzugehen, aus dem andere über Resonanzen schöpfen können. Es lohnt also weiterhin, sich um möglichst wertvolle Spuren zu bemühen, solange es noch geht. Ich brauche dazu keinen Glauben an eine individuelle Kontinuität.

Es macht auch plausibler, wenn durch finstere Zeiten hindurch Kultur irgendwo wie ein untergründiger Fluss weiterfließt, um später wieder an die Oberfläche zu sprudeln. Künftige Menschen fangen nicht von vorne an, wenn sie kreativ, geistreich und kulturbildend wirken wollen. Manchmal in bestimmten Perioden treten kulturelle Schübe geradezu epidemisch auf. Hoffen wir, dass ein solcher Schub Kultur die Menschheit bald auf eine neue Ebene hebt, solange noch Zeit ist.

 
[5] Blog 34: Synchronizität - Von Bernd Schmid 22.09.2009 - Zu finden im Blog-Archiv auf Seite 85

Kommentare

Von: Birgit Minor


Hallo Bernd,
ich habe noch nicht alles verstanden und durchdrungen was du schreibst. Gleichwohl klang sofort etwas in mir an, als du davon schriebst, dass das Gehirn nicht der einzige und höhere Erinnerungsspeicher eines Menschen ist. Ähnliches erlebe ich zum Beispiel, wenn ich mich ans Klavier setze (eigentlich peinlich, das zu schreiben, weil ich kaum Klavier spielen kann :).
Dennoch: es gibt ein bestimmtes Stück , das können nur meine Finger spielen, nicht mein Gehirn! Über den Kopf und das Nachdenken komme ich nicht an die Tastenfolge ran. Meine Finger müssen zum Start auf den richtigen Tasten liegen, dann beginne ich mit der auditiven Erinnerung, wie das Stück klingen soll. Wenn ich falsch spiele, hilft es mir nicht, auf die Tasten zu schauen (oder gar die Noten rauszusuchen, da ich nicht nach Noten spielen kann) oder mich kognitiv zu erinnern. Ich brauche den leichten Einstieg und dann gebe ich mich der Musik hin und überlasse mich wie in zweiter Instanz meinen Händen, die dann bestenfalls ein Eigenleben führen und das Stück spielen.
Oftmals gelingt das, wenn nicht, kann ich aufhören und auf einen besseren Augenblick hoffen. Einer, indem ich in Gelassenheit darauf vertraue, dass da was entsteht und Musik aus meinen Händen fließt. Was will ich sagen: Es gibt mehr Erinnerungsspeicher als nur das Gehirn. Ich glaube daran, dass jede Zelle erinnert und ich kann es mir vorstellen oder ahnen, dass es da auch noch größere Netzwerke / extrakorporale Synapsen gibt. Ich stimme auch deinem Gedanken zu, dass das etwas Tröstliches hat... weil es eben auch eine Form von Verbundenheit ist :)

Liebe Grüße, Birgit

Von: Manfred Müller

Hallo Bernd,
Danke Dir sehr für Deine Ausführungen zu diesen für mich sehr interessanten Thema. Du sprichst mit aus der Seele und es ist für mich eines von ganz wenigen Themen die mich noch interessieren und aus dem für mich fast immer gleichem allerlei herausstechem. Ich hoffe es kommt noch mehr davon, denn mit fast allem anderen für mich belanglosem macht das Leben wenig Sinn und Freude. Vielen Dank das Du mir Heute damit Sinn gespendet hast und Hoffunung in meinen Leben noch etwas erleben zu dürfen wofür sich sich lohnt zu leben.

Danke Dir und alles beste Manfred

Von: Doris Prinzl-Wimmer


Lieber Bernd,

ich hatte gestern einen Traum: ich stand am großen Fenster unseres
Wohnzimmers, schaute hinaus und wusste, dass ich zeitnah sterben würde. Was mich dabei traurig machte, war die (Traum)Tatsache, dass all die bunten Ereignisse und diese Fülle meines reichen Lebens mit mir jetzt verschwinden würden.

Dass ich nun heute, direkt nach diesem Traum, Deinen "Sheldrakes-Spuren-Blog" lesen darf,  ist ein wunderbares tröstliches Geschenk!
Vielen  Dank!

Herzlichst
Doris

Von: Bernd Brosig


Hoffen wir, dass ein solcher Schub Kultur die Menschheit bald auf eine neue Ebene hebt, solange noch Zeit ist.

Diese Hoffnung, lieber Bernd, steht im Zentrum von Hölderlins Werken. Du bist Hölderlin offensichtlich näher, als Du vielleicht denkst. Die Elegie "BROT UND WEIN" auf meiner Hölderlin-CD zeugt als eines von vielen Beispiel von Hölderlins Hoffnung auf eine "bessere Welt", wie es in dem Gedicht AN DIE KLUGEN RATGEBER wörtlich heißt. Und das ist auch der Grund dafür, dass Hölderlin heute der weltweit am meisten wahrgenommene und übesetzte Layriker deutscher Sprache ist. Statistisch erscheint weltweit jeden Tag ein Buch über ihn - vor allem im akademischen Bereich. Und 2020 wird sein 250. Geburtstag weltweit Wellen schlagen.

Wenn Hölderlin von "Gott" spricht, meint er nicht die "Gott-Vater-Vorstellung", sondern "das Göttliche", wie es auch in einem Zitat aus dem Gedicht DER ARCHIPELAGUS zum Ausdruck kommt: "Aber weh! es wandelt in Nacht, es wohnt, wie im Orkus, / Ohne Göttliches unser Geschlecht. Ans eigene Treiben / Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden Werkstatt / Höret jeglicher nur und viel arbeiten die Wilden / Mit gewaltigem Arm, rastlos, doch immer und immer / Unfruchtbar wie die Furien, bleibt die Mühe der Armen."

Nun könntest Du kritisch auf Hölderlins rückwärts gewandte "Glorifizierung" der griechischen Antike verweisen, während Du ja von der Hoffnung sprichst. dass ein epidemischer Schub Kultur die Menschheit bald auf eine "neue Ebene" hebt. Eine "neue Ebene" muss aber meines Erachtens kulturelles Erbe nicht ausschließen, um sich als zukunftsfähig erweisen zu können. An seinen Bruder Karl schreibt Hölderlin 1793; "Dies ist das heilige Ziel meiner Wünsche und meiner Tätigkeit, dies, dass ich in unserem Zeitalter die Keime wecke, die in einem künftigen reifen werden." Gerne würde ich mich mit Dir einmal ausführlicher über das Dionysische und das Apollinische bei Hölderlin austauschen.

Es grüßt Dich und die Deinen
ganz herzlich
Bernd

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