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Am Mittagstisch des isb ergeben sich oft nebenbei gute Gespräche, eben Lunch-Talks. Dies ist ein Versuch, das auf ein Blog zu übertragen. Anne Seger hat uns dazu Anregung gegeben. Herzlichen Dank Anne.
"Lieber Bernd,
Mich beschäftigt, welches Gewicht das „Machen“ in unserer Kultur heute hat. Wie haben uns Sprüche wie „Geht nicht - gibt´s nicht!“ oder „Etwas tun ist immer besser als nichts tun!“…..geprägt und einseitig werden lassen?
Wodurch auch immer gehöre ich zu den Menschen, die Herausforderungen lieben und bei denen Lösungsideen nur so sprudeln: Da muss man doch eingreifen, reagieren, Stellung nehmen, sich abgrenzen….etwas tun….da muss man helfen, sich engagieren…..usw.
Es ist bei mir fast immer das Gefühl da, dass ich oder „man“ was zum Positiven verändern kann …und dass man geradezu verpflichtet ist…und großer Optimismus: Ich mache das gerne.
Ich kann auch nicht gut mit dem Gefühl der „Hilflosigkeit“ umgehen und annehmen, dass ich nichts Wirksames machen kann.
Und vielleicht geht das vielen Menschen so?
Und dann die andere Seite: Manchmal ist das Machen, Eingreifen, Helfen wollen (z. B. bei ….“ Das ist doch besser als nichts“….“dann hab´ ich meinen guten Willen gezeigt“…) schädlicher als nicht machen.
„Müssten wir öfters mal nicht zuerst überlegen was wir nicht - oder nicht mehr machen sollten, wie die Wirkung von aufmerksamem Warten, Aushalten, Aussitzen, Ansprechen von Hilflosigkeit sein könnte?
Wie geht es Dir damit?"
Liebe Anne!
Ich bin da wohl ziemlich ähnlich gebaut wie Du. Doch kann ich ganz gut abspalten, was mir außerhalb meiner Reichweite scheint. Damit schone ich meine Kräfte, komme ich mir aber auch gelegentlich unempfindsam vor. Umgekehrt bemerke ich, wie viele Menschen um mich herum zu wenig von solchen Abwehrmechanismen haben. Sie fahren alle Programme hoch, auch wenn sie nichts tun können. Kein Wunder, wenn der Akku schlapp macht und dann auch für das Machbare Kraft fehlt.
Ausblenden-Können (nicht müssen), Ungelöstem einen Stand-By-Status zuweisen, auch das will gelernt sein. Das konnte z.B. unser Geheimrat Goethe. Er konzentrierte sich auf die Farbenlehre und sein Sommerhaus in Weimar, als „nebenan“ die französische Revolution tobte. So behielt er die Schöpferkraft für das ihm Mögliche. Das Dilemma-Konzept [1] des isb hilft dabei, das Verzehren in den eigenen Unlösbarkeiten zu identifizieren.
Ich will dennoch nicht dem Gegenteil von Engagement, nämlich dem „Nichtstun“ das Wort reden. Denn: Wer, wenn nicht wir?....“
Vielmehr geht es um die andere Form des Engagements: Das Nichttun! [2], das in verschiedenen fernöstlichen Traditionen einen hohen Stellenwert besitzt [3]. Man stellt sich der Frage, lotet das Sinnvolle und Mögliche aus, teilt es mit denjenigen, die sich dafür öffnen, und adressiert die, die es angeht. Ansonsten überlässt man die Verantwortung dem Kosmos. „Absichtsarmes Engagement“ [4] habe ich eine solche Haltung mal genannt. Dieses kann man schwer definieren, aber viele kennen diesen Schwebezustand, in dem man sich wirklich zuwendet, ohne etwas bewirken zu müssen. Michael Ende hat ihn in der unendlichen Geschichte als das Dritte Tor beschrieben, das sich erst öffnet, wenn man trotz aller Dringlichkeit den Durchgang nicht mehr erzwingen will. [5]
Es können ohne Willen des Ichs Kräfte wirken, und auch ohne Tun. Jeder erfahrene Supervisor hat schon erlebt, dass nach sorgfältiger Erörterung eines Problems keine „Umsetzung“ mehr erforderlich war, sondern „zu Hause“ eine bereits im Sinne der Supervision veränderte Situation vorgefunden wird. Das kann geschehen oder auch nicht. Mal muss man "tun" und sogar noch mehr tun als bisher und mal muss man sich überlassen, ja schlicht zum Beistand in verzweifelter Lage bereit sein. Wann was gilt, ist schwer zu entscheiden. Immerhin kann man chronische Einseitigkeiten bei sich und anderen entdecken. Es bleibt ein Balance-Akt auf manchmal hohem Seil. Lebenserfahrung und Verankerung in kollegialen Beratungsgruppen können zu einem größeren und schwereren Balance-Stab verhelfen. Damit balanciert es sich besser.
Ein Archiv mit weiteren Blogbeiträgen von Bernd Schmid finden Sie hier.
Von: Tina Geiger
Sehr schönes Thema. Ich beschäftige mich selbst auch damit das Gefühl von Hilfosigkeit oder auch Ohnmacht auszuhalten - noch gelingt es nicht so gut. Es geht immer um eine dahinterliegende Angst, die man nicht spüren möchte und deshalb ins Tun geht.
Mein Ausbilder hat vor kurzem auch die Geschichte von Michael Ende erzählt und das schönes Gedicht "Regsamkeit" (von Erich Fried) geteilt:
Weil viel geschehen kann, wenn einmal nichts geschieht,
muß immer etwas geschehen, damit nicht alles geschieht.
Drum Lärm geschlagen, daß er das Schweigen verschweige,
Und die unstillbare Stille uns nicht das Lautere zeige.
Das letzte, was man tut, ist das Nichtstun verhüllen.
Wenn die Unruhe ruht, kann die Leere alles füllen.
Von: Gerhard Kern
kaum ist man mit einem problem konfrontiert, ist man auch bereits von lösungen umzingelt - - - das wäre meine entgegnung zu den machern, die losrennen, bevor sie wissen wohin, und warum und wofür überhaupt. lernen zu verstehen ist eine kunst, die nicht in hohem kurs steht. ich denke, verstehen lernen gehört zur supervisionskunst überhaupt, zu lernen, den blick auf eine situation nicht mit schnellen lösungen zu verstellen. vielen dank dafür, dass ich hier eine gelegenheit bekomme, das nochmal zu anzusprechen.
gk
Von: Rita Strackbein
Liebe Anne und lieber Bernd,
zur Zeit genieße ich die Sonne in Südfrankreich und habe mich mit durch das Buch "Muße - Vom Glück des Nichtstuns" von Ulrich Schnabel inspirieren lassen.
Es ist für mich eine weitere Perspektive des Nichtstuns - "nämlich jene
Stunden, in denen wir ganz das Gefühl haben, Herr über unsere eigene Zeit zu sein, in denen wir einmal nicht dem Geld, der Kariere oder dem Erfolg hinterherrennen, sondern in denen wir zu uns selbst und unserer
eigentlichen Bestimmung kommen".
In all unseren Bedürfnissen etwas tun zu müssen, ist es glaube ich sehr
wichtig, Muße zu üben und zu pflegen.
Diese Woche nehme ich mir noch die Zeit zu üben...
Sonnige Grüße
Rita
Von: Dr. Christoph Schmidt-Lellek
Lieber Bernd,
als Kommentar bzw. Ergänzung zu den von Dir erwähnten fernöstlichen Traditionen mit dem "Tun des Nichttuns" ein kleiner Abschnitt aus meiner Dissertation "Ressourcen der helfenden Beziehung" von 2006:
Der Daoismus ist im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. entstanden und wird auf die legendäre Gestalt Lao-tse (chin. ?der alte Meister?) zurückgeführt. Das ihm zugeschriebene Buch ?Tao te king? (oder Daodejing) ist eine
aphoristische Sprüchesammlung, in der die Wirkungen des ?Dao?, des
Urgrundes, in der Welt dargestellt werden. In diesem Buch, das reich an
rätselhaften Metaphern und Paradoxien ist, wird gelehrt, dass das Dao selbst sich dem begrifflichen Erkennen entzieht, es hat keinen Namen: ?Der Name, den man nennen kann, ist nicht der ewige Name? (Tao-te-king, Nr. 1). In seiner ?fruchtbaren Leerheit? gründet sich die größte Wirksamkeit: In dem Weisen wirkt das Dao gerade durch dessen ?Nicht-Handeln? (wuwei). Dieses bedeutet nicht die Aufgabe jeglicher Aktivität, sondern größtmögliche Aktivität, da diese sich nicht auf ein bestimmtes Handeln beschränkt. ?Dreißig Speichen treffen sich in einer Nabe: Auf dem Nichts daran beruht des Wagens Brauchbarkeit. Man bildet Ton und macht daraus Gefäße: Auf dem Nichts daran beruht des Gefäßes Brauchbarkeit. (...) Darum: Das Sein gibt Besitz, das Nichtsein Brauchbarkeit? (Tao te King, Nr. 11). Die daoistischen Paradoxien können für unser westliches Denken und speziell für unsere Arbeit in der Psychotherapie, Supervision, Coaching usw. eine wertvolle Ressource
darstellen: Das ?Handeln durch Nicht-Handeln? oder ?der leere Raum als der kreative Mittelpunkt? können als Ausgangspunkt für Veränderungen verstanden werden.
Von: Louis Lau
Die Frage nach dem Tun und nach dem Ruhen vom Tun steht im Zentrum jenes Texts, den wir heute (als Christen) Altes Testament nennen. Da wird so gut wie alles missverstanden und schnell in mehr oder weniger moralische Anweisungen übersetzt (d.h. es wird unheimlich viel "getan"). Das ist auch der Hintergrund dieser Debatte, so wenig er den Beteiligten bewusst sein mag. Es ist "Gott", der ruht - also nicht mehr "tut", weil er sieht, dass alles "gut, sogar sehr gut ist". - Wenn einer spürt, dass er nun alles getan hat, alles gegeben hat, was er konnte, dann KANN er auch ruhen. Die Ruhe kommt dann ganz von selbst. In der Tradition war damit der Sonntag, bei Juden der Schabbath gemeint. Der hört dann aber auf, wenn man anfängt, die Sache ins Äußere zu veräußern, und dann beginnt wieder der Tanz ums goldene Kalb bzw. der Dienst, zu dem sich einer hingibt. Dieser Wechsel von Tun und Ruhen ist eben nicht nur auf "die Woche" (also die sieben Tage) bezogen, sondern auch auf jeden Augenblick: Im Zentrum meines (ruhelose Tuns ruht die Zuversicht, dass es gut, sogar sehr gut ist. - Wenn nicht, ist mein Tun unstet und flüchtig und wird es auch bleiben.
Von: Günther Mohr
Nichtstun??
Es stimmt, die westliche, vom Christentum beeinflusste Kultur setzt mehr auf
Aktivität. Die tätige Nächstenliebe ist seit der Samaritergeschichte ein
Paradigma, wobei es da vor allem darum ging jemandem aus einem anderen Stamm
zu helfen. Es gibt heute noch Regionen in der Welt, in denen man, wenn
jemand auf der Straße liegt, zuerst schaut, ist es "einer von uns" und wenn
nicht, weitergeht. Über den eigenen Stamm hinauszuschauen, war ein riesiger
Schritt der Menschheit.
In den fernöstlichen Kulturen ist das Mitgefühl ebenfalls in einer bewussten
Entscheidung auf die Tagesordnung gesetzt worden. Es war im Buddhismus ein
Kraftakt das Mitgefühl zu fördern.
Und was generell die Aktivität anbelangt, erscheinen uns Westlern (Europa
und Amerika) heute die Fernöstler, die mit ihren kontemplativen Haltungen
seit der Kolonialzeit durchaus von oben herab belächelt wurden, wieder
einmal voraus zu sein, zumindest was das Wirtschaftliche anbelangt.
Ich hatte selbst das Glück, sehr viel aus der integrativen Haltung von
Willigis Jäger gegenüber Fernöstlichem und Westlichem zu lernen. So wurde
ich Zen-Lehrer und sitze auch in einem Stadtparlament. So hatte ich in
grauer Vorahnung Bernds Rollenmodell 2000 schon um die Gemeinwesenrolle
erweitert, damit deutlich wird, dass der Mensch sich nicht nur zwischen
Privat- und Berufswelt abspielt, sondern dass es im Gemeinwesen und in der
Demokratie Tun erfordert, ...heute vielleicht mehr denn je. Also um es mit
Wolfgang Niedecken (BAP) auszudrücken: "Aarsch huuhh".
Von: Angelika Glöckner
In der hermetischen Philosophie wird es so gesagt (Hermes Trismegistos) .
Das Lassen ist das Tun des Weisen
Hier geht es, soweit mein Verständnis, um eine Geisteshaltung : Es meint
NICHT Tun oder nicht Tun, Handeln oder NICHT Handeln, es meint NICHT-TUN
mitten im Tun und mitten im Lassen.
Es ist eine, Bernd Du erwähnst es ähnlich, eine vollständige
Absichtslosigkeit inmitten aller Gedanken, Gefühle, Worte und Werke.
Wer so in der Welt steht bei gutem Augenmass für das zu Tuende und das zu
Lassende, für das Mögliche und das unmöglich Scheinende, der verzehrt sich
nicht, verausgabt sich wohl aber bleibt in guter Kraft und lebendigem
Fluss.Er steht in seiner Kraft, auch wenn er sie in reichen Gebraucht nimmt.
Es setzt eine Form der Nichtidentifikation voraus, die eben, wie ich glaube,
NICHT Abspaltung ist, auch nicht Verdrängung, es ist der klare Blick in das
Antlitz des Irdischen und seiner Bedingungen in gut und schlimm, und ein
Zustand von Wachheit, der von keiner Müdigkeit überwältigt werden kann, eben
weil er jenseits irdischer Bedingungen angesiedelt ist (Siehe in der Bibel:
Mein Reich ist nicht von dieser Welt).
Hier bildet sich dies ebenso und sprachlich variiert ab :
Andreas Gryphius (1616 - 1664) ;
Mein sind die Jahre nicht,
die mir die Zeit genommen.
Mein sind die Jahre nicht,
die etwa mögen kommen.
Der Augenblick ist mein,
und nehm' ich den in acht,
so ist der mein,
der Zeit und Ewigkeit gemacht.
Am Ende ist Tun und nicht-Tun ein gemeinsamer geistiger Akt, denn nicht-Tun
hat nichts zu tun mit NICHTS-TUN, hier ist Unterscheidungswillen-und
Von: Ruth Sander
Lieber Bernd, liebe Alle,
wenn ich in Resonanz zu Deinen Zeilen gehe, tauchen auch durchaus große weltpolitische Themen auf wie Rechtsruck oder D.T. als US-Präsident. Und was ich mache, wenn ich ja vom Kopf her weiß, dass ich allein nichts ändern kann, ist a) akzeptieren meines Sandkorn-Status und b) "Licht schicken" an die Betroffenen. Das können die Flüchtlinge sein, aber auch die Bevölkerungsgruppen, die sich vor Flüchtlingen fürchten - oder eben Donald T., dem ich so sehr wünschen würde, dass er in die Verantwortung seines Amtes hineinwächst...
Lieben Gruß, absichtslos und licht,
Ruth
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Von: Anne Seger
Lieber Bernd,
was für eine feine Form des gemeinsamen Sinnierens....
Das "Nicht Tun" als bewusstes "Lassen können"......
......Zeit lassen, loslassen, überlassen....sich verlassen...
Gelassenheit und Achtsamkeit für den Balanceakt....
...und nicht zuletzt: Balancieren ist eine Kunst....Deine Anregungen sind
eine wunderbare Anleitung wie es gehen könnte....
Herzliche Grüße
Anne